Peter Demetz zu seinem einhundertsten Geburtstag

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Am 21. Oktober 2022 feierte der Literaturwissenschaftler Peter Demetz, Bürger vieler Welten und Vermittler zwischen dem alten und dem neuen Kontinent, seinen 100. Geburtstag. 

Alle Lebensläufe sind Narrative, also konstruiert, und von sich selbst sagte Demetz einmal: „Mein Lebenslauf scheint mir noch mehr an Fiktionalität zu besitzen, als es schicklich sein sollte; wie ein Charakter in einem Stück Max Frischs, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es hätte auch ganz anders kommen können. Ich saß zeitlebens zwischen drei Stühlen und fühlte mich sozusagen levitierend am wohlsten. Ich will damit sagen, dass ich im alt-neuen Prag geboren bin; mein Vater ist von Südtiroler und katholischer Herkunft, meine Mutter kam aus einer tschechisch-jüdischen Familie vom flachen Lande, und quer durch die Sippe gingen die Trennungen der Religion, der Sprache und der politischen Neigungen, die es mir zeitlebens unmöglich gemacht haben, mich dem einen oder anderen ganz ohne ironischen Rest zu verschreiben."

Das IWM hatte das große Glück, diesen inkommensurablen Geist schon früh als regelmäßigen Gast zu haben. Demetz‘ reiches Leben und Werk werden in diesen Tagen im internationalen Feuilleton gewürdigt, und so beschränken wir uns auf einen Ausschnitt, nämlich auf den unschätzbaren Beitrag, den er über viele Jahre zum intellektuellen Leben des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen geleistet hat. 

Zum ersten Mal kam Peter Demetz 1991 als Visiting Fellow ans Institut, um an der Herausgabe eines Bandes mit unveröffentlichten Schriften T.G. Masaryks zu arbeiten (Polemiken und Essays zur russischen und europäischen Literatur- und Geistesgeschichte, erschienen 1995). In jenem Jahr trat er auch der Jury des Paul-Celan-Übersetzungsprogramms bei. Es folgten zahlreiche weitere Aufenthalte, immer verbunden mit den Forschungen, die ihn jeweils beschäftigten, und oft begleitet von Vorträgen – über den italienischen Futurismus, über Masaryks Faust, über den Mythos vom magischen Prag, über Sprachphilosophie im tschechischen Nationalitätenkonflikt, über die Prager Filmproduktion in den Jahren der deutschen Besatzung – um nur einige zu nennen. Darüber hinaus nahm Demetz oft an Konferenzen und Workshops des IWM teil, wo seine Diskussionsbeiträge stets geschätzt waren. 

Bereits 1993 wurde er Korrespondierendes Mitglied des IWM und kam im selben Jahr wieder ans IWM, um zu seinem Buch Prague in Black and Gold: Scenes in the Life of a European City zu recherchieren (erschienen 1997). Es ist der Versuch, den Blick auf die von Stereotypen verstellte Geschichte der Stadt zu öffnen. Die Präsentation der deutschen Ausgabe fand 1998 am Institut im Rahmen eines denkwürdigen Gesprächs mit Karl Schwarzenberg statt. 1996 wurde Demetz Mitglied des Redaktionskomitees von Transit. Die Zeitschrift des Instituts ist stolz auf die zahlreichen, in seinem unverwechselbar lakonischen Stil geschriebenen Artikel, die er beigesteuert hat. 

An dieser Stelle sei auf den zum Zentenarium im Wallstein Verlag erschienenen Band Was wir wiederlesen wollen hingewiesen, der literarische Essays aus den Jahren 1960 bis 2010 versammelt. 

Peter ist ein großer Kinogeher, von Kindesbeinen an. Wenn er in Wien war, besuchte er fast jeden Abend das – inzwischen geschlossene - Bellaria-Kino, um Filme aus vergangenen Zeiten zu sehen. In der letzten Dekade beschäftigte sich Demetz intensiv mit der politischen Geschichte des Films. Sein Buch Diktatoren im Kino: Lenin – Mussolini – Hitler – Goebbels – Stalin erschien 2019. Aber das Interesse am Film entsprang eben auch persönlichen Erlebnissen, die sich in seinen frühen Brünner Kinoerinnerungen niederschlugen, nachzulesen in Transit 41 (2011). 

Als ich Peter letztes Jahr per Zoom zu seinem 99. Geburtstag gratulierte, nannte er am Ende unseres Gesprächs einige Titel Fachliteratur zu Kafka, die der Bibliotheksdienst des IWM ihm wie stets bereitstellen möge für seinen nächsten Besuch am IWM. Dieses Jahr kann Peter leider nicht kommen, aber wir freuen uns schon darauf, ihn im nächsten hier wieder begrüßen zu dürfen.

  1977 anlässlich seiner Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, https://www.deutscheakademie.de/de/akademie/mitglieder/peter-demetz/selbstvorstellung. 


Klaus Nellen ist Mitbegründer und ehemaliger Permanent Fellow am IWM.