Wettbewerb in der Klimakrise

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Die chinesische Energiepolitik ist für die Begegnung der globalen Klimakrise von entscheidender Bedeutung. Janka Oertel diskutiert die Grüne Transformation in China und die damit einhergehenden Herausforderungen für Europa.

Einige Wochen nach der Weltklimakonferenz in Glasgow drängt die Zeit weiterhin: Die Folgen des Klimawandels werden immer deutlicher spürbar und die Möglichkeiten, das Ruder noch herumzureißen und die Erderwärmung zu begrenzen, schwinden. Die Hochrangigkeit der Gäste unterstrich die Dringlichkeit der Lage.

Einer hat allerdings gefehlt: Chinas Staatspräsident Xi Jinping beschränkte sich wohl auf virtuelle Präsenz. Dabei ist Pekings Rolle als weltweit größter CO2-Emittent bei der Bekämpfung des Klimawandels unumstritten enorm. Die chinesische Energie- und Wachstumspolitik ist ein zentrales Problem und muss daher unverrückbarer Teil einer globalen Lösung sein. Der Anfang dafür scheint allerdings gemacht, denn seit ungefähr einem Jahr ist Bewegung in Chinas vormals zurückhaltende Position gekommen.

Im September 2020 erklärte Xi vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen bis 2060 CO2- neutral zu wirtschaften und noch vor 2030 die Emissionen rückläufig werden zu lassen. Die Ankündigung kam auch für viele in China unerwartet. Gleichzeitig werden immer wieder Zweifel laut, wie ernst es denn der Kommunistischen Partei wirklich mit der Transformation der Wirtschaft sei.

Und das nicht ganz unbegründet: Für Xi ist die Lage daheim derzeit kritisch. Die Corona-Pandemie und deren Folgen sind bei weitem noch nicht überwunden, während gleichzeitig die globale Energiekrise insbesondere in China, wo weiterhin Kohle mehr als 60 Prozent des Energiemix ausmacht, für eine dramatische Situation am Beginn der Heizperiode sorgt. Die schweren Engpässe in der Energieversorgung bringen Rationierung und Stromausfälle mit sich, mit deutlichen Auswirkungen auf die lokale Produktion – und damit auf die globale Lieferkette.

Die derzeitige Krise hat mehrere Ursachen: unter anderem ein stark gestiegener Kohlepreis, Angebotsengpässe aufgrund von heimischen Ausfällen und politisch motivierten Sanktionen auf Importe aus Australien, eine Deckelung des Preises für Kohlestrom, die das Betreiben der Anlagen derzeit unwirtschaftlich macht, politische Steuerungsfehler, das Anziehen der Weltwirtschaft bei der Überwindung der Corona-Pandemie, aufgrund dessen die Nachfrage nach Produkten und Zulieferungen aus China stark gestiegen ist.

Sie ist aber eben auch eine Folge der veränderten Prioritäten der chinesischen Regierung mit Blick auf die Umstellung der Volkswirtschaft auf Effizienzsteigerung und Emissionsreduktion. Erneuerbare Energien werden in China schon seit Jahren massiv ausgebaut. Seit Xi Jinping mit seinen Ankündigungen in New York die Dekarbonisierung zur Chefsache gemacht hat, hat der Druck massiv zugenommen, wesentliche Fortschritte zu erreichen.

Es ist Momentum vorhanden, das zeigt, wie ernst es Xi mit seinem Vorhaben ist, neben den „roten Reformen“, die derzeit die chinesische Wirtschaft umkrempeln, auch eine „grüne Wende“ zu vollziehen.

Doch die Widersprüche mit denen Xi derzeit zu kämpfen hat, sind sogar für China – das gezeigt hat, wie sich Unvereinbares doch recht pragmatisch zusammenbringen lässt, um den Wohlstand und die Macht der Partei wachsen zu lassen – schwer zu vereinbaren. Die derzeitigen Engpässe in der Stromversorgung zeigen die Lücken in der Strategie auf. Scheitern ist in keinerlei Hinsicht eine Option. Das wäre Gift für die Legitimität der immer autoritärer agierenden Kommunistischen Partei. Deswegen werden nun kurzfristig die Kohleproduktion und der Kohleimport wieder verstärkt.

Ist Chinas ambitionierte Dekarbonisierungs-Agenda damit am Ende? Das wäre weit gefehlt. Gleichzeitigkeit ist die Devise und diese ist für Europa auf mehreren Ebenen eine echte Herausforderung. Eigentlich müsste man froh sein, hat man in Europa doch jahrelang gefordert, dass Peking mehr tun und seine Ambitionen steigern müsse. Je früher dies geschieht, desto besser, denn je später China auf Netto- Null Emissionen kommt, desto größer sind die Auswirkungen auf das globale Klima. Deutlich wird aber auch, dass was immer die chinesische Regierung beschließt – im Guten wie im Schlechten – inzwischen globale Nachbeben erzeugt.

Dies wirft neue Fragen insbesondere im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit bei grünen Technologien auf. In Brüssel ist der „Green Deal“ zum zentralen Handlungstreiber geworden. Und auch in Deutschland beschwören die drei Parteien, die gerade die Koalitionsverhandlungen führen, eine Vision von der grünen Transformation, die Deutschland und Europa als Vorreiter sieht und wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen wird: Innovation und Pioniervorteil, mutig voranschreiten und dabei nicht nur das Klima, sondern gleichzeitig auch langfristig europäischen Wohlstand sichern.

Das klingt gut, lässt aber den veränderten China-Faktor derzeit noch zu sehr außer Acht. Xi Jinpings Ambitionen müssen ernster genommen werden, als dies bisher der Fall ist und als die aktuellen Maßnahmen mit Blick auf die Kohlenutzung erscheinen lassen. Die Energiekrise wird die chinesische Führung mittelfristig wahrscheinlich eher dazu bringen, noch stärker in Autonomie, Effizienz und erneuerbare Energie zu investieren, Forschung und Entwicklung zu fördern und selbst eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Marktzugangsbeschränkungen in China sorgen für Skalierungseffekte, der Zugang zu Kapital kann erleichtert werden und der Staat bleibt als Käufer und Investor in zentraler Position. Die Steuerungsmöglichkeiten, die sich daraus auf dem riesigen chinesischen Binnenmarkt ergeben sind enorm.

Im Bereich der Windenergie hat dies in den vergangenen Jahren schon zu einem harten Konkurrenzkampf geführt, der inzwischen so weit gegangen ist, dass das europäische Unternehmen Siemens Gamesa im August dieses Jahres verkündet hat, den chinesischen onshore Markt ganz zu verlassen. Gegen heimische Konkurrenz habe man keine Chance mehr.

Chinesische Anbieter die bei grünen Technologien – von Elektromobilität bis zu Speicherbatterien – den geschützten heimischen Markt dominieren, haben einen signifikanten Wettbewerbsvorteil, der so einfach nicht aufzulösen ist. Es macht die Unternehmen in China unschlagbar und gleichzeitig stark für den globalen Markt und verdrängt damit die internationale Konkurrenz. Je mehr die Mechanismen des Wettbewerbs und freien Handels in Frage gestellt werden, desto schneller werden europäische Konzerne das Nachsehen haben. Was bedeutet all dies für den Erfolg des europäischen Green Deal und den internationalen Klimaschutz? Und was heißt das für Energiesicherheit im Zeitalter erneuerbarer Energien?

Die derzeitige Energiekrise kurz vor der Weltklimakonferenz zeigt all die großen Fragen erneut auf vor denen Europa steht. Zu glauben, diese wären gemeinsam mit China zu lösen, könnte ein Irrtum sein. Vielmehr sollte die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus dem Ausland, die schon jetzt für Probleme sorgt, deutlich machen, dass europäische Souveränität auch erfordert, sehr langfristig über die eigenen industriellen Fähigkeiten nachzudenken und diese nachhaltig auszubauen und zu fördern. Wie können europäische Konzerne wettbewerbsfähig bleiben vor dem Hintergrund immer stärkerer chinesischer Konkurrenz? Wie können einseitige Abhängigkeiten verhindert werden?

Bei der grünen Transformation geht es um effektiven Klimaschutz, aber auch um Konkurrenz um die Märkte und Technologien der Zukunft. Ein grüneres China, ist gut fürs Klima, bedeutet aber auch, dass sich Europa in Zukunft warm anziehen muss.


Janka Oertel ist die Direktorin des AsienProgramms am European Council on Foreign Relations. Vom September 2021 bis Juni 2022 ist sie Europe’s Futures Fellow am IWM.