Karel Schwarzenberg: Demokrat, überzeugter Europäer und Freund des IWM

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Er war beliebt, doch nie populistisch, adelig in seiner Erscheinung und oberster Repräsentant des fränkisch-böhmischen Hauses der Schwarzenbergs (auch wenn er den Titel nicht mehr trug), doch dabei zutiefst demokratisch und den Menschen zugewandt. Karel Schwarzenberg, dem IWM eng verbunden, wird uns sehr fehlen.

Bei den tschechischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2013 trat er als Kandidat der bürgerlichen Parteien an. Im ganzen Land wurde „der Fürst“, wie er in Tschechien oft genannt wurde, damals als Punk mit rotem Irokesenkamm plakatiert. Es war dies keine populistische Anbiederung, sondern eher im Gegenteil ein Reflex darauf, dass er – dessen Sprachmelodie im Tschechischen etwa so besonders war wie sein Auftritt mit der obligaten Fliege – gerade von der jungen, hippen, städtischen Wählerschaft innig geliebt wurde. Die Wahl verlor er dann trotzdem knapp gegen Miloš Zeman, und viele Analysen zeigten, dass womöglich seine differenzierte und kritische Haltung zum Unrecht der Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg dafür ausschlaggebend war. Doch selbst wenn es so gewesen wäre: Schwarzenberg hat die Klarheit seiner Haltung weder in dieser noch in anderen Fragen je bereut.

Wer Karel Schwarzenberg kannte, wird sich erinnern an einen überzeugten Europäer, dem besonders die Geschichte und das Geschick der Länder in Mitteleuropa am Herzen lagen. Er sagte gern von sich, er sei ein geborener Prager, aufgewachsen in Wien, was sonst könne er da sein als ein Mitteleuropäer? Die Ereignisse des Jahres 1989 sah er nicht kommen, obschon er entschieden darauf hingearbeitet hatte. Von Österreich aus unterstützte er die tschechischen Dissidenten, auch ohne konkrete Aussicht, dass sie in absehbarer Zeit einen politischen Wandel herbeizuführen vermöchten. In engem Kontakt stand er mit dem Dramatiker Václav Havel, Mitinitiator der Charta 77, der in den 70er und 80er Jahren nach und nach zum Zentrum der politischen Opposition in der Tschechoslowakei wurde.

Von 1984 bis 1991 war Schwarzenberg Präsident der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte, eine Ernennung, die auf einen Vorschlag Bruno Kreiskys zurückging – wie überhaupt seine Kontakte zur Sozialdemokratie intakt und respektvoll waren, wenngleich er sich politisch liberal-konservativ verortete. 1986 trug er maßgeblich zur Gründung des Dokumentationszentrums zur Förderung der unabhängigen tschechoslowakischen Literatur bei, auch wenn er seine eigene Rolle dabei immer als unwesentlich beschrieb. Die von dem Emigranten Vilém Prečan angelegte Sammlung von Samisdat-Literatur fand Unterkunft auf Schloss Schwarzenberg in Scheinfeld, dem namensgebenden Stammsitz der Fürsten von Schwarzenberg in Mittelfranken, den Karel Schwarzenberg wie selbstverständlich für diese Zwecke zur Verfügung stellte.

Die „samtene Revolution“ des Jahres 1989 veränderte dann auch entscheidend sein eigenes Leben. Ab 1990 wirkte er zunächst als Kanzler des neu gewählten Staatspräsidenten Havel auf der Prager Burg, eine Zeit, die er rückblickend oft als die schönste seines Lebens beschrieb. Später fungierte er dann zweimal als Außenminister der Tschechischen Republik, das erste Mal (2007-2009) als parteiloser Politiker auf Vorschlag der Partei der Grünen (SZ), das zweite Mal (2010 – 2013) schon mit dem Ticket der liberalen Partei TOP 09, deren erster – und äußerst erfolgreicher – Vorsitzender er war.

Karel Schwarzenberg war charismatisch, gebildet, dem Leben zugewandt, gesegnet mit einem Talent fürs Erzählen und einem wunderbaren Humor. Gespräche mit ihm waren vergnüglich, doch immer getragen von Klugheit und einer großen Weitsicht, die es ihm erlaubten, auch schwierige politische Konstellationen pointiert zu formulieren. Sein Urteil war bestechend klar und bestechend oft richtig. Die Gefahr eines russischen Übergriffs auf die Ukraine hat er vorausschauend klar benannt. Schon 2014 warnte er nach der Annexion der Krim vor dem russischen Appetit, dem die Krim möglicherweise nur als Vorspeise diene, wohingegen die ganze Ukraine der Hauptgang werden könne.

Die Klarheit seines Urteils führte aber nie zu Ungeduld oder maßlosen Forderungen. In einem Interview, das ich Anfang dieses Jahres mit ihm führte, sagte er auf meine Frage nach politischen Enttäuschungen: „Die Leute sind, wie sie sind. Ich habe nie übertriebene Erwartungen.“ Gerne zitierte er in solchen Zusammenhängen Albert Einstein: Es gebe nur zwei Dinge, die unendlich seien, nämlich das Weltall und die menschliche Dummheit, allein – und bei diesem Zusatz freute er sich schon mit seinen Zuhörern auf die Pointe – beim Weltall sei die Frage nach der Unendlichkeit noch nicht abschließend geklärt. Wann immer er som etwas sagte, lag darin nichts Herabwürdigendes, kein Verlachen oder Bloßstellen, sondern das weise Akzeptieren menschlicher Schwächen. Karel Schwarzenberg wusste um die Notwendigkeit, Nachsicht zu üben mit den Menschen, und er schloss sich darin stets auch selber ein.

Schwarzenberg war neben Erhard Busek einer der ersten, die das Institut für die Wissenschaften vom Menschen in seinen Anfangsjahren tatkräftig unterstützten. Diese Verbundenheit sollte über mehr als vier Jahrzehnte andauern. Viele Jahre war er Vorsitzender des IWM-Kuratoriums. Auf den Veranstaltungen des IWM war er über die Jahre ein treuer und gern gesehener Gast. Bei vielen Konferenzen saß er mit auf dem Podium, regelmäßig nahm er teil an den jährlichen Fellows Meetings (2005 hielt er dort selbst den traditionellen Vortrag), und nicht zuletzt war er auch ein wiederkehrender Diskutant bei den vom IWM initiierten großen Debatten im Burgtheater. Diese füllte er mit seiner Lebendigkeit und seinem Esprit, und nicht nur einmal hörte man anschließend das zufriedene Resümee, schon „der Fürst“ allein sei den Besuch wert gewesen.

Bei der Durchsicht der alten Newsletter und Veranstaltungsprogramme des IWM fällt noch etwas anderes auf: Nicht nur war Karel Schwarzenberg regelmäßiger Gast des IWM, mehr noch war er ein guter und generöser Gastgeber. Unzählige Veranstaltungen des IWM fanden im Palais Schwarzenberg statt, das er dem IWM besonders in den ersten zwei Jahrzehnten nach dessen Gründung im Jahr 1982 immer wieder zur Verfügung stellte. Die Patočka Memorial Lecture als wichtigster Vortrag des Jahres fand regelmäßig ihr würdiges Ambiente im Palais Schwarzenberg, ebenso die Verleihung des Hannah-Arendt-Preises, mit der das Institut von 1995 bis 1999 innovative Bildungsreformen in Osteuropa auszeichnete, dazu politische Empfänge und Mittagessen mit illustren Gästen. Immer fiel dabei etwas vom Glanz seines Hauses auch auf das Institut.

Seine letzte öffentliche Rede bei einer Veranstaltung des IWM hielt er am 13. Februar 2023 anlässlich einer Gedenkfeier zum 10. Todestag von IWM-Gründer Krzysztof Michalski. Was er damals über Michalski sagte, klingt aus heutiger Sicht wie die schönste Charakterisierung seiner selbst: „Ein Patriot, aber frei von jeglichem Chauvinismus, mit gesunder Kritik auch seiner eigenen Nation gegenüber. Er war jemand, der genial vermittelt hat zwischen den Ländern, die damals noch hinter dem Eisernen Vorhang waren (…) Sein großer Verdienst ist das Bewusstsein um die Notwendigkeit des Kampfes für die Freiheit und um die Notwendigkeit, eine tiefe geistige Grundlage für sie zu schaffen.“ Schwarzenbergs Auftritt und seine Worte an diesem Abend waren bewegend und werden allen, die dabei waren, lange in Erinnerung bleiben. Neben Michalski sprach er auch über Václav Havel als die zwei Menschen, die ihm persönlich viel bedeuteten, aber es lag in seinen Worten auch Wehmut und ein Gefühl von Abschied.

In der Nacht des 11. November 2023 ist Karel Schwarzenberg im Alter von 85 Jahren verstorben. Mit ihm verliert das IWM einen seiner großen Freunde und Förderer. Seine Ratschläge waren unaufdringlich, dafür umso klüger. Wir werden sie schmerzhaft vermissen und ihm ein ehrendes Andenken bewahren.


Ludger Hagedorn ist Philosoph und Permanent Fellow am IWM.