Kommunikation in und über die Corona-Krise

Corona Diary
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Als ZuschauerIn und ZuhörerIn konnte man bald den genauen Wortlaut in den vielen Interviews mit PolitikerInnen vorhersagen und die Wiederholung der Phrasen des neuen „Regierungsspräch“ abzählen. Der Frame „Grenzen und Klima schützen“ legitimierte alle Maßnahmen, Konflikte wurden schnell ausgeblendet, wie etwa der Umgang mit den katastrophalen Zuständen auf den griechischen Inseln. Einige unbegleitete Jugendliche und Kinder, d.h. Vollwaisen, aus den Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln in Österreich aufzunehmen, sei daher unmöglich. Dass die Koalitionspartner in diesem Punkt nicht einig waren, wurde zunehmend deutlich. Dennoch gaben die Grünen – vorerst – nach und hielten sich an die vorgegebene Message-Control. Denn: Das stand eben nicht im Regierungsprogramm.

Natürlich nicht! Denn Unvorhergesehenes kann nicht in einem Regierungsprogramm stehen. Auch die Corona-Krise war nicht vorgesehen; diese steht ebenfalls nicht im Regierungsprogramm. Aber jetzt gibt es keine Zeit, zu diskutieren und lange zu evaluieren; jetzt muss gehandelt werden, und zwar schnell. Jetzt geht es darum, alle Menschen zu schützen, die in Österreich leben, und zwar unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft. Dementsprechend wurde der politische Diskurs auf Anweisung der SpindoktorInnen rasch geändert, sowohl was die Inszenierung als auch die Inhalte betrifft. Der hegemonialen Medienlogik folgend, änderte sich auch die Berichterstattung zugunsten der alles beherrschenden „Corona-Krise“. Anderes findet wenig, wenn überhaupt, Platz – aber dazu später.

Wie hat sich der politische Diskurs verändert? Dazu einige erste Beobachtungen:

Zunächst erfreut die neue Anerkennung wissenschaftlicher Expertise. Keine Rede mehr davon, dass “(M)an die Wissenschaft nicht überspannen (soll) – die kann und soll sich auch nicht überall einmischen”, wie Wissenschaftsminister Faßmann am 12. Jänner 2020 meinte, angesprochen auf die breite wissenschaftliche Kritik zu den vorgesehenen Deutschförderklassen. Die Ablehnung von ExpertInnen und faktenbasierten Wissens war natürlich kein österreichisches Phänomen. In den letzten Jahren erlebten wir die Leugnung der Klimakrise durch US-Präsidenten Donald Trump und den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsanaro, die Ablehnung notwendiger Expertise zum Brexit-Referendum und den darauffolgenden Verhandlungen durch den ehemaligen britischen Wissenschaftsminister Michael Gove, usw. Wie Hannah Arendt schon in den 1970-erjahren festgestellt hatte, anlässlich des Watergate-Skandals und der Pentagon Papers, Fakten würden durch Meinungen ersetzt. Und nur jene ExpertInnen gehört, deren Meinungen gerade die Maßnahmen der Mächtigen vollinhaltlich unterstützten.

Dies hat sich nun signifikant geändert: Immunologen, Statistiker, Informatiker, Virologen, Infektiologen, Psychologen, Therapeuten, Pädagogen, Philosophen, Ökonomen, Wirtschaftsforscher, Medienwissenschaftler, Zukunftsforscher sind gefragt; eher selten kamen bisher Soziologen, Migrationsexperten und Politologen zu Wort (obwohl gerade letztere zu sozialen Konflikten und den aktuell riesigen Herausforderungen an die Kohäsion der Gesellschaft viel zu sagen hätten). Außerdem Hilfsorganisationen und NGOs wie das Roten Kreuz, die Armutskonferenz und die Frauenhäuser. Neue, bisher unbekannte, Fachbegriffe beherrschen den Diskurs, differenzierte Argumente und Meinungsvielfalt lösen inhaltsleere Phrasen ab. Simple Antworten gibt es nicht, die vielfältige Vernetzung unserer Gesellschaften wird deutlich. „Social distancing“ ist in aller Munde; „Herdenimmunität“ wird von allen verwendet, ohne die genaue wissenschaftliche Herkunft und Definition dieses Konzepts zu kennen. Gerade letzterer Begriff wirkt für viele irritierend, weil Menschen mit Tieren gleichgesetzt, also entmenschlicht werden. Dennoch: „herd immunity“ ist der anerkannte immunologische Terminus für das entsprechende komplexe Phänomen.

Weiter erleben wir die Wiederkehr totgeglaubter Begriffe und Institutionen, wie „Solidarität“, „Helden der Arbeit“ und „Sozialpartnerschaft“ auf höchster Regierungsebene. Aus dem öffentlichen Diskurs längst hinausgedrängte Organisationen wie Arbeiterkammer und Gewerkschaft setzen sich lautstark für die Rechte der Arbeitnehmer ein, ein „Corona-Kurzarbeitspaket“ wird verabschiedet, um der drohenden massiven Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Altbekannte und oft zitierte Kreisky’sche Überzeugungen finden zu aller Überraschung Widerhall, wie der nur geringfügig vom Kanzler und Finanzminister umformulierte Satz, dass in den 1970-er Jahren Bruno Kreisky „ein paar Milliarden mehr Schulden weniger schlaflose Nächte bereiten als ein paar hunderttausend Arbeitslose mehr.“ Bilder von ÖVP MinisterInnen, die Schilder mit dem Slogan „Durchhalten. #Wir packen das“ hochhalten, werden in den Social Media geteilt. Ist damit etwa eine intertextuelle Anspielung auf den massiv kritisierten Merkel’schen Spruch „Wir schaffen das“ aus dem Jahre 2015 intendiert? Die Phrase „Koste es, was es wolle“, so der ehemalige EZB Präsident Mario Draghi während der Euro-Krise im Juni 2015, wird zum neuen Mantra. Selbst die Forderungen der Opposition (und der WHO) werden aufgegriffen („testen, testen, testen“). Auch wenn die OppositionspolitikerInnen, die aufgrund ihrer Expertise legitime Forderungen aufstellen (wie etwa die Ärztin und Epidemie-Expertin Pamela Rendi-Wagner), nicht weiter zitiert werden. Weist also dieser signifikante Framewechsel auf ein Ende neoliberaler Einstellungen hin?

Die Inszenierung der Politik repräsentiert das Ungleichgewicht der beiden Regierungsparteien. Im Trio oder auch manchmal im Quartett betreten PolitikerInnen fast täglich die mediale Bühne: meist doppelt so viele aus der ÖVP wie von den Grünen. Neue Maßnahmen und Zahlen werden verkündet und begründet. Ein „Schutzschirm“ wird aufgespannt, der Österreich vor dem Verderben bewahren möge. Details bleiben ausgeblendet, die Expert*innen haben keinen Platz neben der Politik auf der Bühne. Dies im Unterschied zu manchen anderen Ländern, wo PolitikerInnen gemeinsam mit ExpertInnen auftreten; oder auch nur ExpertInnen, die mit entsprechender Autorität alle informieren.

Niemand kann daher daran zweifeln, wer letztlich als „Retter der Nation“ gelten wird, ein weiser fürsorglicher „Vater“, so der Linguist George Lakoff mit seiner Metapher der „Nation als Familie“, der sich um alle Österreicher und Österreicherinnen kümmert und Regeln vorgibt. Auf Angst und Verzicht folgen Hoffnung und Rettung. Insgesamt wirkt der oft zitierte „Schulterschluss“ beruhigend. Jetzt ist nicht, so die neue Message-Control, die Zeit für Zweifel, Kritik oder Konflikt. „I am from Austria“, ertönt von der Polizei, rot-weiß-rote Fähnchen wehen an manchen Fenstern. Eine Rückkehr des sogenannten „banalen“, alltäglichen Nationalismus. Da Gesundheitspolitik vor allem nationalstaatlich verhandelt wird, wurden schnell die Grenzen geschlossen. Obwohl sich weder das Virus noch das Klima an Grenzen halten.

Allerorts kursieren martialische Metaphern. So verkündet der französische Präsident Macron, dass wir uns „im Krieg“ gegen das Virus befinden. Passende Sündenböcke werden gesucht und erfunden: US-Präsident Trump spricht vom „Chinese Virus“, der ungarische Ministerpräsident Orbán gibt „illegalen Migranten“ und George Soros (also einer „jüdischen Weltverschwörung“) die Schuld.  Letzterer vor allem deshalb, so liest man, um von der desaströsen Gesundheitsversorgung abzulenken. Diese diskursive Strategie ist natürlich nicht neu: „Shifting blame“ bzw „blame avoidance“ als rhetorische Überzeugungs- und Argumentationshilfsmittel sind immer schon Charakteristika in politisch schwierigen Situationen gewesen. Das Fehlen europäischer Stimmen gerade in diesem Zusammenhang erstaunt. Überdeckt die Corona-Krise nun auch die offensichtliche Transformation mancher EU-Mitgliedstaaten in autoritäre Regime?

Die restriktiven Maßnahmen dienen, so hören und lesen wir täglich, vor allem dem Schutz von „(Hoch)Risikogruppen“, also alter Menschen. Schon vernimmt man vereinzelt utilitaristische Argumente, ob sich denn allein aus diesem Grund all diese Maßnahmen wirklich auf Dauer lohnten. Kommt also ein neuer „Generationenkonflikt“, fragen manche. Diese ethisch verwerfliche Diskussion bleibt uns hoffentlich erspart!

Viele wichtige Themen finden, wie schon anfangs erwähnt, keinen Platz. Wird es noch ein Budget geben, um nach der Corona-Krise die noch bedrohlichere Klimakrise zu bewältigen? Warum hören und lesen wir nichts über rezente Agenda, wie „Eurofighter“, den „Casino-Skandal“ und den jüngst eingesetzten Untersuchungsausschuss zu „Ibiza und den Folgen“? Gibt es einen neuen EU-Türkei Deal? Wie reagiert die EU-Kommission auf Orbáns neues Gesetz, das das ungarische Parlament unbefristet außer Kraft setzen soll? Was meint denn die Europäische Volkspartei, zu der die ÖVP gehört, zu diesen diktatorischen Gelüsten Orbáns? Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Meinungs- und Themenvielfalt, Dialog und Auseinandersetzung, Partizipation auf vielen Ebenen bleiben für eine liberale Demokratie wichtig, denn sonst fallen wir unvorbereitet in die nächsten – vorhersehbaren – Krisen. Manches davon steht sogar im Regierungsprogramm.

Ruth Wodak ist Em. Distinguished Professor of Discourse Studies (Diskursforschung) an der Lancaster University (UK) und o. Univ.-Professorin i.R. für Angewandte Linguistik an der Universit.t Wien. 1996 erhielt sie den Wittgenstein Preis für Elite WissenschaftlerInnen. Derzeit ist sie Visiting Fellow am IWM. Weitere Informationen unter www.lancaster.ac.uk