
Sommer 2002
Das Jahrhundert der Avantgarden
Die Vorstellung einer Vorhut-Funktion der Künste und der Künstler für die Gestaltung der Zukunft, insbesondere einer anderen, besseren Gesellschaft, hat den Begriff von Kunst, Literatur und Musik im 20. Jahrhundert wesentlich geprägt. Am Beginn des neuen Jahrhunderts erscheinen die Voraussetzungen dieser Vorstellung tiefgreifend verändert. Die Verstrickungen der Avantgarde mit den großen totalitären Systemen, die Enttäuschung der Utopien der Moderne, die Auflösung strikter Grenzen zwischen Kunst und Massenkultur sind die wichtigsten Faktoren dieses Wandels. Das Konzept von Kunst und das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft sind neu zu bestimmen.
- Cornelia Klinger
- Einleitung
- Vivian Liska
- Vorhut und Nachträglichkeit.
Das Unzeitgemäße des deutschen Expressionismus
- Lutz Koepnick
- Benjamins Stille
- Peter Bürger
- Der Surrealismus im Denken der Postmoderne.
Ein Gespräch
- Fiona Rukschcio
- Rom – Montagen
Gewalt
Die Moderne hat alte Formen von Gewalt in ihr Repertoire übernommen und neue, furchtbare Formen hervorgebracht. Zugleich gehört das Versprechen, Gewalt zu überwinden, zu ihrem Wesen. Die Einlösung dieses Versprechens erscheint uns heute ferner denn je. Charles Taylor (Montreal) versucht eine Typologie der Gewalt in der modernen Gesellschaft. Slavenka Drakulic (Zagreb / Stockholm) porträtiert den ersten vom Haager Tribunal verurteilten Kriegsverbrecher, General Radislav Krstic.
- Charles Taylor
- Gewalt und Moderne
- Birgit Sauer
- Gewalt, Staat und Geschlecht
- Slavenka Drakulic
- Triumph des Bösen.
Radislav Krstic: Karriere eines Kriegsverbrechers
Vertreibung war in der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts eine verbreitete, ja weithin als legitim angesehene Form von Gewalt im Namen rationaler Prinzipien staatlicher und territorialer Homogenisierung. Rainer Münz (Berlin) zieht eine Bilanz des “Jahrhunderts der Vertreibungen”. Eva und Hans Henning Hahn (Oldenburg) erinnern daran, dass durch die Politik der Vertreibung die multiethnischen Gesellschaften, wie sie das Europa der Vorkriegszeit auszeichneten, unwiederbringlich zerstört wurden. Einige Probleme wurden damit vielleicht “gelöst”, zugleich aber neue geschaffen, die bis heute nicht bewältigt sind. Jacques Rupnik (Paris) beschwört den Geist mitteleuropäischer Kooperation gegen den neuen Populismus in der Region, der die alten Traumata der Vertreibung für die eigenen partikularistischen Interessen instrumentalisiert. Peter Demetz wundert sich über den Griff der tschechischen Politik zum “nationalen Rettungsanker”.
- Eva und Hans-Henning Hahn
- Eine zerklüftete Erinnerungslandschaft wird planiert.
Die Deutschen, “ihre” Vertreibung und die sog. Benes-Dekrete
- Jacques Rupnik
- Das andere Mitteleuropa.
Die neuen Populismen und die Politik mit der Vergangenheit
- Peter Demetz
- Randbemerkung
- Rainer Münz
- Das Jahrhundert der Vertreibungen
Litauen – Ukraine
In seinem Essay über Litauen und Kaliningrad versucht Tomas Venclova (New Haven), unter der Oberfläche der Nachkriegsgeschichte eine fast vergessene europäische Landschaft freizulegen, in der einst verschieden Kulturen zusammenlebten.
Nach zehn Jahren Unabhängigkeit scheint die Ukraine ein tief gespaltenes Land. Mykola Riabchuk (Kiev) analysiert die Ursachen der Spaltung und die verschiedenen politischen Strategien, sie zu überwinden – oder von ihr zu profitieren. Die Perspektiven für eine Versöhnung des westlichen Teils mit dem östlichen liegen für ihn vor allem in den langsam erwachenden zivilgesellschaftlichen Kräften. Mit Kommentaren von Roman Szporluk (Harvard) und Tatiana Zhurzhenko (Kharkiv).
- Tomas Venclova
- Im Vorhof Europas.
Über Kaliningrad und Litauen
- “Im Winkel”. Gedicht
- Mykola Riabchuk
- Die Ukraine: ein Staat, zwei Länder?
- Roman Szporluk
- Warum die Ukrainer Ukrainer sind
- Tatiana Zhurzhenko
- Ukrainische Mythologie
Tr@nsit 23
- Peter Demetz
- Über Aviatisches – d’Annunzio, Marinetti, die Avantgarde und der Faschismus
The discussion of the Italian avantgarde inevitably centers on Marinetti, the Futurists and, perhaps to a lesser degree, on Gabriele d’Annunzio who may have been a “futurist” in his life rather than in his art. Marinetti and his friends were suspicious of d’Annunzio’s mythologizing gestures and his old fashioned poetry, but, as pilot and public figure, d’Annunzio was much closer to an impersonation of their ideas than they cared to admit.
A comparative view of d’Annunzio’s Dithyramb IV (on Icarus) and Marinetti’s poetic report on Lt. Piazza’s attack on Arab trenches (1912, the first war use of airplanes recorded) would show the difference between literary articulations, and yet d’Annunzio’s jottings while flying over Austrian positions in WW I come close to Marinetti’s “parole in libertà”, not to speak of d’ Annunzio’s “futurist” war raid against Vienna (1918).
- Muriel Blaive
- Tchèques, Allemands, Autrichiens:
La gestion d’un passé douloureux
Commentaire sur Jacques Rupnik, “Das andere Mitteleuropa: Die neuen Populismen und die Politik mit der Vergangenheit”
- Bradley F. Abrams
- Die Vertreibung der Sudetendeutschen und die tschechoslowakische Opposition in den 70er Jahren
Zwischen Mai 1945 und Ende 1946 wurden an die drei Millionen Menschen aus der wiedererrichteten Tschechoslowakei vertrieben – darunter fast die gesamte deutsche Bevölkerung, wobei diese Aktion damals von allen wichtigen Entscheidungsträgern gebilligt und von einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wurde. Nach der kommunistischen Machtübernahme wurde sie dann zu einem festen Bestandteil der tschechoslowakischen Staatsideologie und von offizieller Seite bis zum Ende des Regimes niemals in Frage gestellt. Erst in der Aufbruchstimmung nach der Revolution von 1989 äußerten Präsident Václav Havel und Außenminister Jirí Dienstbier Zweifel an der moralischen Rechtfertigbarkeit der Vertreibung und folgten hiermit einer Debatte, die bereits in den späten 70er Jahren im Samisdat und in der Exilpresse stattgefunden hatte. Damals wollten die Dissidenten durch ihre Revision der offiziellen Geschichtsschreibung nicht nur der Vergangenheit Gerechtigkeit widerfahren lassen, sondern war auch eine Diagnose der Gegenwart liefern und die Vertreibung mit der kommunistischen Repression in eine Verbindung stellen. Der vorliegende Beitrag versucht ein Resümee der Debatte um die zentralen Kritikpunkte der “Revisionisten” an der herrschenden Interpretation der Vertreibung, wie sie sich in der offiziellen kommunistischen Geschichtsschreibung und in einflußreichen westlichen Analysen von Emigranten darstellte.
Transit 10, 1995, S. 174-193
- Eva Hahn
- Die “tschechische Frage” von Masaryk bis Havel
Transit 10, 1995, S. 162-173
- Mykola Riabchuk
- Ukraine: One State, Two Countries? [Engl. version]
Két Ukrajna [Hung. transl. from: 2000]
- Commentaries:
- Roman Szporluk
- Why Ukrainians are Ukrainians [Engl. version]
Mitol ukránok az ukránok? [Hung. transl. from: 2000] - Tatiana Zhurzhenko
- The Myth of Two Ukraines [Engl. version]
Két Ukrajna? [Hung. transl. from: 2000]