Ehrlichkeit in der Politik?

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Wer Politik und Moral auseinander halten will, versteht von beidem nichts.” schrieb Jean-Jacques Rousseau, und dem stimme ich zu. Die politische Praxis kann nicht nur, sie muß wieder mit den Anforderungen der Ehrlichkeit ausgesöhnt werden.

Keynote speach auf der Konferenz Morality and Politics, Wien, 7. Dezember 2002

Wer Politik und Moral auseinander halten will, versteht von beidem nichts.” schrieb Jean-Jacques Rousseau, und dem stimme ich zu. Die politische Praxis kann nicht nur, sie muß wieder mit den Anforderungen der Ehrlichkeit ausgesöhnt werden.

Was aber heißt Ehrlichkeit oder Unehrlichkeit bei einem Politiker? Ist es einem Politiker überhaupt möglich, ehrlich zu sein?

Die Frage trifft den Kern der Demokratie. Wenn Wähler Politiker als nicht vertrauenswürdig abschreiben, kommt es zu antidemokratischen Bewegungen. Doch wissen alle Politiker, daß Mehrdeutigkeiten und Kompromisse ihre Arbeit weit mehr bestimmen als grundsätzliche Wahrheiten. Manchmal muß man das geringere Übel wählen. Unsere gewohnten Vorstellungen von Anstand und Recht können nicht immer eingehalten werden – und nicht etwa, weil Zynismus und Scheinheiligkeit das einzige wäre, was in der Politik zählt.

Nehmen Sie zum Beispiel den Herrn der Mehrdeutigkeiten, den Herzog de Talleyrand. Er war nicht nur korrupt, sondern auch ein notorischer Verräter seiner verschiedenen Herren in Folge. Von Talleyrand hieß es, er haben seine eigene Mutter nur deshalb nicht verkauft, weil er für sie keinen Käufer fand. Trotzdem hat Talleyrand, obwohl er einen Herrscher nach dem anderen hintergangen hat, wahrscheinlich niemals Frankreich verraten.

Unehrlichkeit nimmt, wie sich herausstellt, bei Politikern unterschiedliche Formen an. Lassen Sie uns die verschiedenen Arten näher bestimmen! Ganz oben an steht eine Person, die an sich schon unehrlich ist. So jemand wird in jedem Fall ein unehrlicher Führer, Ideologe oder Diplomat sein.

Ein anderer Typ ist der wohlmeinende Dilettant. Aus Unbeholfenheit und Ungeschicklichkeit im Vorgehen schadet der Dilettant den Interessen, die er zu fördern vorgibt.

Politische “Spielernaturen” setzen andererseits ihre vorhandene Kompetenz schlecht ein. Sie sind geschickt aber unbedacht, ihnen fehlt die Demut und sie denken nicht nach. Dem Spieler nahe verwandt ist der politische “Querkopf”, der seine ehrgeizigen Pläne mit allen Mitteln und ohne Rücksicht auf die Risiken und Kosten anderer verfolgt.

Auch der politische “Fanatiker” ist unehrlich. Er wird von der Überzeugung geblendet, daß er absolut in jedem Fall im Recht ist. Der Fanatiker ist unbeweglich und stur; wie eine Dampfwalze ist er bereit, alles, was ihm in den Weg kommt, platt zu machen. Im Gegensatz dazu ist das politische “Schlitzohr” kaum weniger unehrlich. Ihm fehlt das, was der frühere US-Präsident Bush das ,,visionäre Ziel” genannt hat. Ohne Rückgrad und Prinzipien setzt er sich ab, wenn er zur Verantwortung gezogen werden soll.

Neben diesen typischen Fällen des unehrlichen Politikers gibt es noch weitere allgemeine politische Haltungen. Unter ihnen stehen die zynischen Ausprägungen des Pragmatismus an erster Stelle. Sie verkörpern das Prinzip ,,der Zweck heiligt die Mittel” immer dann, wenn moralische Forderungen mit politischen Interessen in Konflikt geraten.

Das andere Extrem ist eine naive, utopisch-moralistische Einstellung, die genauso unehrlich ist. Wie Meßdiener klagen solche Leute über die Rücksichtslosigkeit und den Relativismus in der Politik und sondern hohle Appelle zur moralischen Erneuerung ab. Aber so einfach ist das alles nicht. Die Geschichte ist keine Idylle und die Biographien der Politiker lesen sich nicht wie Heiligenlegenden. Wenn alle Leute ehrlich wären, bräuchte man paradoxerweise auch keine Politiker.

Dies bedeutet nicht, daß wir ehrliche Politiker, wenn wir ihnen begegnen, nicht identifizieren könnten. Immanuel Kant beschrieb zwei Arten von Politikern. Der politische Moralist will die Moral ausschalten, wenn er den Anforderungen der als zynisches Spiel ausgelegten Politik entspricht. Das ist ein Etikett, das leicht auf alle oben beschriebenen Arten unehrlicher Politiker paßt.

Kants zweiter Typ ist der moralische Politiker, der den zynischen Pragmatismus ablehnt, ohne naiven Moralisierungen zu erliegen. Ein ehrlicher Politiker ist jemand, der in der Politik ein Mittel sieht, das Gemeinwohl zu erreichen. Er ist nicht naiv und weiß, daß dazu oft Geduld, Kompromißbereitschaft und eine Politik der kleinen Schritte nötig sind. Dennoch verliert er, wenn er Teilziele verfolgt, die höheren Ziele nicht aus den Augen.

Kurzum, ein ehrlicher Politiker folgt einem Pragmatismus, der sich auf Prinzipien gründet, und behält bei allem Mut, auch unangenehme Dinge zu sagen, stets eine konstruktive Haltung bei. Tatsächlich ist unverantwortliches Kritikastertum, das eifrig Probleme ohne die Bereitschaft, mögliche Lösungen vorzuschlagen, öffentlich herausstellt, vielleicht die am weitesten verbreitete Form der Unehrlichkeit in der Politik.

Aus diesem Grund ist die tatsächliche Regierungstätigkeit oft der beste Test für die politische Ehrlichkeit. In demokratischen Ländern kann der Wähler die Unehrlichkeit derjenigen Politiker, die in der Opposition andere kritisieren, sich aber, wenn sie selbst an der Regierung sind, als ineffizient erweisen, an der Wahlurne abstrafen – und das tun sie oft auch.

Zur verläßlichsten Probe für die Ehrlichkeit eines Politikers kommt es, wenn er oder sie Ideen verteidigen muß, die zwar unpopulär aber richtig sind. Nicht jeder besteht eine solche Prüfung, vor allem nicht, wenn Wahlen anstehen. Denn nur der unehrliche Politiker setzt Politik ausschließlich mit Beliebtheit gleich.

Andererseits gelingt es keinem moralischen Politiker nur auf eigene Faust das Gemeinwohl zu sichern. Nur wenn Politiker sich gegenseitig in ihrer Anständigkeit unterstützen, finden sie genug Selbstvertrauen, um sich in kritischen Momenten für den Staat über ihre politischen Gegensätze erheben können.

Doch sind die Politiker nicht alleine für die politische Ehrlichkeit verantwortlich. Die öffentliche Meinung muß dabei genauso mitspielen. Schließlich gedeihen politische Ehrlichkeit und ehrliche Politiker eher in einer Gesellschaft, deren Kultur sich durch Toleranz, Solidarität, und den Genuß gleicher individueller Rechte auszeichnet. Politische Unholde tun sich in einem solchen Umfeld schwer.

Ich bin in erster Linie ein politischer Pragmatiker. Daher weiß ich, daß keine Theorie, nicht noch so viele Gutachten einen Politiker davor befreien, in sich zu gehen und bei einer anstehenden politischen Entscheidung sein Gewissen zu befragen, was in diesem Fall ehrlich ist und was nicht. In erster Linie ist es die Bereitschaft, eine solche Last auf sich zu nehmen, die einen ehrlichen Politiker ausmacht.

Aus dem Englischen von Dr. H. Böttiger


Tr@nsit online, Nr. 25/2003
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